Adipositas-Epidemie weltweit
Seit 1975 hat Adipositas weltweit um das Dreifache zugenommen. Die Gründe dafür sind nicht ganz klar, neben einer positiven Energiebalance durch veränderte Ernährungsgewohnheiten und einem sitzenden Lebensstil werden auch Faktoren wie Umweltgifte und Mikrobiota diskutiert.
Aus Zwillings-, Adoptions- und Genomstudien weiß man, dass Adipositas zu einem gewissen Grad erblich bedingt ist, und man kennt bestimmte genetische Varianten, die für Adipositas prädisponieren.
Adipositas durch „schlechte“ Gene?
In dieser Längsschnittstudie wurde untersucht, wie sich die Umwelt bei Menschen mit und ohne eine Veranlagung für Adipositas in den letzten Jahrzehnten ausgewirkt hat.
Dafür wurde der Körpermassenindex (BMI) zwischen 1963 und 2008 in der Allgemeinbevölkerung im Alter von 13 bis 80 Jahren von Nord-Trøndelag, Norwegen, wiederholt gemessen. Zur Beurteilung der Prädisposition für Adipositas wurden bei 67.305 Studienteilnehmern 96 von 97 bekannten Einzelnukleotidpolymorphismen (SNPs) bestimmt und daraus das persönliche Risiko berechnet. Entsprechend ihrer Veranlagung für Adipositas wurden die Teilnehmer in fünf Kategorien eingeteilt und diese auf die Entwicklung des BMI hin miteinander verglichen.
Personen, die ab 1970 geboren wurden, haben einen höheren BMI
Adipositas nahm ab Mitte der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre zu, und im Vergleich zu älteren Geburtskohorten wiesen diejenigen, die nach 1970 geboren wurden, schon im jungen Erwachsenenalter einen deutlich höheren BMI auf: Bei 35-jährigen Männer mit geringer erblich bedingter Veranlagung war er in den 2000er Jahren 2,2 kg/m2 höher als in den 1980ern (95 % Konfidenzintervall [CI] 2,05 bis 2,35 kg/m2), bei Frauen betrug der Unterschied 2,88 kg/m2 (95 % CI 2,70 bis 3,06 kg/m2).
Bei 35-45-jährigen Frauen nahm die Adipositas-Prävalenz zwischen 1960 und 1980 ab, danach stieg sie stetig an. Unter den 35-45-jährigen Männern mit einer starken Adipositas-Veranlagung nahm die Prävalenz von 10 % (1960er Jahre) auf 30 % zu (2000er Jahre), bei denen mit geringem Risiko von 2 % auf 13 %.
Unterschiedlicher BMI-Zuwachs je nach Adipositas-Veranlagung
Der BMI unterschied sich in jedem Jahrzehnt zwischen den Gruppen mit der höchsten und niedrigsten genetischen Veranlagung für alle Altersgruppen erheblich, und die Differenzen nahmen von den 1960er bis 2000er Jahren schrittweise zu. Bei 35-jährigen Männern war der BMI in den 1960er Jahren bei den am stärksten prädisponierten Personen um 1,20 kg/m2 (95 % CI 1,03 bis 1,37 kg/m2) höher als bei denjenigen mit der geringsten Veranlagung. In den 2000er Jahren betrug dieser Unterschied 2,09 kg/m2 (1,90 bis 2,27 kg/m2). Bei 35-jährigen Frauen betrugen die entsprechenden BMI-Unterschiede in den 1960er Jahren 1,77 kg/m2 (1,56 bis 1,97 kg/m2) und 2,58 kg/m2 (2,36 bis 2,80 kg/m2) in den 2000er Jahren.
Die BMI-Differenz von 0,89 kg/m2 (0,63 bis 1,15 kg/m2) bei Männern und 0,81 kg/m2 (0,51 bis 1,12 kg/m2) bei Frauen schreiben die Autoren der Wirkung der Umweltbedingungen bei hoher erblich bedingter Veranlagung für Adipositas zu.
Adipositas-förderndes Milieu lässt BMI unterschiedlich stark steigen
Der BMI ist sowohl bei genetisch prädisponierten als auch bei nicht prädisponierten Menschen gestiegen, woraus die Autoren folgern, dass Umweltfaktoren hauptverantwortlich für den Adipositas-Anstieg der letzten Jahrzehnte sind.
Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Menschen mit einer größeren genetischen Veranlagung für Adipositas zusätzlich einem höheren Risiko ausgesetzt sind, dass ihr BMI steigt, wenn sie Adipositas-fördernden Umweltbedingungen ausgesetzt sind. Die Interaktion zwischen genetischer Veranlagung und einer „dickmachenden“ Umwelt – beispielsweise eine Kombination aus wenig körperlicher Aktivität, viel im Sitzen verbrachter Zeit, Fernsehen, veränderten Ernährungsgewohnheiten und Portionsgrößen sowie die ständige Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln – könnte den BMI-Anstieg der letzten Jahrzehnte verursacht haben.
Quellen:
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Brandkvist M1,2, Bjørngaard JH3, Ødegård RA2,4,5, Åsvold BO6,7,8, Sund ER8,9, Vie GÅ3; maria.brandkvist@ntnu.no
1Department of Public Health and Nursing, NTNU, Norwegian University of Science and Technology, Postboks 8905, 7491 Trondheim, Norway; 2Department of Paediatrics, St Olavs Hospital, Trondheim University Hospital, Trondheim, Norway; 3Department of Public Health and Nursing, NTNU, Norwegian University of Science and Technology, Postboks 8905, 7491 Trondheim, Norway; 4Obesity Centre, St Olavs Hospital, Trondheim University Hospital, Trondheim, Norway; 5Department of Clinical and Molecular Medicine, NTNU, Norwegian University of Science and Technology, Trondheim, Norway; 6K.G. Jebsen Center for Genetic Epidemiology, Department of Public Health and Nursing, NTNU, Norwegian University of Science and Technology, Trondheim, Norway; 7Department of Endocrinology, St Olavs Hospital, Trondheim University Hospital, Trondheim, Norway; 8HUNT Research Centre, Department of Public Health and Nursing, NTNU, Norwegian University of Science and Technology, Levanger, Norway; 9Faculty of Nursing and Health Sciences, Nord University, Levanger, Norway.
BMJ. 2019 Jul 3;366:l4067. doi: 10.1136/bmj.l4067.