Sitzender Lebensstil begünstigt Übergewicht und Adipositas
Übergewicht und Adipositas sind bei Kindern weit verbreitet: Daten der Jahre 2018 bis 2020 aus Deutschland ergaben Prävalenzraten von 25,9 Prozent für Übergewicht und 10,3 Prozent für Adipositas bei Kindern im Alter von fünf bis neun Jahren. Dies birgt die Gefahr, dass das Übergewicht lebenslang beibehalten wird und sich damit assoziierte chronische Erkrankungen schon in relativ jungem Alter entwickeln.
Eine wesentliche Ursache für die Entstehung von Adipositas ist ein sitzender Lebensstil, während körperliche Aktivität das Risiko senkt. Typische Beispiele für sitzende Verhaltensweisen bei Kindern sind Lesen, ruhiges Spielen, Fernsehen, Videospiele und die Nutzung von Computern oder anderen elektronischen Geräten.
Die meisten Kinder und Jugendlichen sitzen länger vor Bildschirmen als empfohlen
Der Zugang zu Internetdiensten und digitalen Technologien hat in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen. Insbesondere Videospiele und Fernsehen zählen zu den häufigsten Freizeitaktivitäten bei Kindern und Jugendlichen.
Verschiedene Länder haben Empfehlungen ausgesprochen, wie viel Zeit Kinder maximal vor Bildschirmen verbringen sollten. Eine Studie mit Daten von 9- bis 18-jährigen Kindern und Jugendlichen in Deutschland der Jahre 2019 und 2020 ergab jedoch, dass etwa 65 Prozent das empfohlene Maximum überschritten.
Bildschirmzeit, Übergewicht und Adipositas hängen zusammen
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Kinder und Jugendliche, die viel Zeit vor Bildschirmen verbringen, häufiger übergewichtig oder adipös sind. Zugrundeliegende Mechanismen könnte unter anderem der daraus resultierende Bewegungsmangel sein. Zudem ist bislang unklar, ob eine Reduzierung oder Erhöhung der Bildschirmzeit mit Gewichtsveränderungen bei Kindern und Jugendlichen zusammenhängt und als „Stellschraube“ für die Prävention genutzt werden kann.
Da eine Reduzierung der Bildschirmzeit nicht unbedingt mehr Bewegung zur Folge hat, wurden in dieser Studie sowohl der Effekt von Veränderungen der Bildschirmzeit als auch von Veränderungen der körperlichen Aktivität (jeweils Stunden pro Tag) auf den BMI untersucht.
Langzeitdaten zur Analyse von BMI-Veränderungen
Die Daten stammen aus der PIER-Jugendstudie[1], einer groß angelegten Längsschnitt-Studie, welche seit 2012 in mehreren Erhebungen die Entwicklung von etwa 3.500 Kindern zwischen fünf und 17 Jahren aus Potsdam und Umgebung untersucht.
Von 971 Kindern wurden Körpergröße und Körpergewicht zu zwei Zeitpunkten im Abstand von etwa einem Jahr gemessen, außerdem wurden Fragebögen von den Eltern zu Freizeitaktivitäten beantwortet. BMI-Veränderungen wurden in einem mehrstufigen Ansatz über das Alter hinweg modelliert.
Studie bestätigt: Mehr Fernsehen – mehr Übergewicht und Adipositas
Kinder, die körperlich aktiver waren, wiesen einen niedrigeren durchschnittlichen BMI auf. Kinder, die täglich mehr fernsahen, hatten dagegen einen höheren durchschnittlichen BMI und ein erhöhtes Risiko für Übergewicht oder Adipositas. Die Anzahl der Stunden vor dem Fernseher sagte einen höheren BMI voraus (0,61 kg/m²), während Stunden körperlicher Aktivität einen niedrigeren BMI vorhersagten (-0,50 kg/m²). Die Anzahl der Stunden am Computer und im Internet pro Tag zeigten keine Zusammenhänge mit dem BMI.
BMI-Anstieg im Verlauf der Zeit ist abhängig von Bewegung und Bildschirmzeit
Trendanalysen des BMI-Verlaufes zeigten: Die Anzahl der Stunden vor dem Fernseher sagte eine erhöhte BMI-Steigung voraus (0,15 kg/m²), während die Stunden an körperlicher Aktivität eine verringerte BMI-Steigung vorhersagten (−0,14 kg/m²).
Diese Veränderungen waren auch individuell bei der Betrachtung der einzelnen Kinder nachvollziehbar. Weiter zeigte sich, dass Veränderungen der täglichen Fernsehstunden und der Computernutzung geringfügig, aber positiv mit Veränderungen der Stunden mit körperlicher Aktivität verbunden waren. Dies könnte bedeuten, dass die Auswirkungen des Fernsehens auf den BMI eher über andere Mechanismen als körperliche Aktivität erfolgen, z. B. über ungesundes Ernährungsverhalten.
Der Anteil an Kindern mit Übergewicht und Adipositas war signifikant höher bei jenen, deren Eltern weniger gebildet waren oder einen niedrigeren beruflichen Status hatten. Auf die BMI-Veränderung im Lauf der Zeit schien dieser Status jedoch keinen Einfluss zu haben.
Fazit
Der Effekt der täglichen Fernsehstunden und der körperlichen Aktivität auf den BMI im Lauf der Zeit sollte bei vorbeugenden Maßnahmen berücksichtigt werden. Sie sollten darauf abzielen, den täglichen Fernsehkonsum zu reduzieren und gleichzeitig körperliche Aktivität zu fördern. Die Autoren der Studie benennen einen Bedarf an klareren Leitlinien für den angemessenen Umgang mit Technologien, deren Zugang und Nutzung rasant zugenommen haben.
Quellen:
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Hoehne S1, Pollatos O2, Warschburger P3, Zimprich D1; sophie.hoehne@uni-ulm.de
1Department of Developmental Psychology Institute of Psychology and Education Ulm University Ulm Germany; 2Department of Clinical & Health Psychology Institute of Psychology and Education Ulm University Ulm Germany; 3Department of Psychology University of Potsdam Germany.
The Association Between Longitudinal Changes in Body Mass Index and Longitudinal Changes in Hours of Screen Time, and Hours of Physical Activity in German Children.
Obes Sci Pract. 2024 Dec 24;10(6):e70031. doi: 10.1002/osp4.70031