Lockdowns haben den Lebensstil in mehr als 100 Ländern stark verändert
Nachdem sich das erstmals Dezember 2019 in Wuhan aufgetretene schwere akute Atemwegssyndrom COVID-19 weltweit ausbreitete, verhängten Regierungen von mehr als 100 Ländern in Anbetracht fehlender wirksamer Medikamente und Impfstoffe strenge Maßnahmen zur Kontrolle der Ausbreitung der Krankheit. Dazu gehörten physische Distanzierung mit vollständigen oder teilweisen Lockdowns, Schließungen von Schulen und Universitäten sowie vieler Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe. Bis April 2020 stand mehr als ein Drittel der Bevölkerung weltweit unter Beschränkungen, die den Lebensstil stark veränderten: Die Menschen sollten möglichst zu Hause zu bleiben und wurden zu Telearbeit und Online-Lernen aufgefordert. Veränderungen im Tagesablauf, Sorgen, Angst, Stress und Langeweile könnten zu emotionalem Überessen oder Appetitlosigkeit geführt haben. In Studien wurden zudem hohe Prävalenzen von Schlafstörungen und körperlicher Inaktivität während dieser Zeit festgestellt. Es gab zahlreiche regionale und nationale Studien zu Gewichtsveränderungen während der Lockdowns, die in dieser systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse erstmals kombiniert wurden.
Systematische Literaturrecherche
In dieser Studie wurden die Auswirkungen der Lockdown-Periode von März bis Mai 2020 auf das Körpergewicht und den Body-Mass-Index (BMI) bei Jugendlichen ab 16 Jahren und Erwachsenen untersucht. Dafür erfolgte eine systematische Literaturrecherche in vier medizinisch-wissenschaftlichen Datenbanken. 35 Querschnitts- und eine Kohortenstudie wurden in die Meta-Analyse eingeschlossen, in denen Veränderungen des Körpergewichts und des BMI während und nach dem Lockdown erfasst worden waren. Darin waren insgesamt 59.711 Personen ab 16 Jahren aus 32 Ländern weltweit vertreten. Die Qualität aller eingeschlossenen Studien wurde als gut bis hochwertig eingestuft.
Tendenziell stiegen Körpergewicht und BMI an
Die meisten Studien berichteten eher einen Anstieg des Körpergewichtes. In mehreren Studien betraf dies mehr als 30 Prozent der gesamten Studienpopulation – im Irak gab es mit 72,4 Prozent der Bevölkerung am häufigsten eine Zunahme des Körpergewichts. Bei den übrigen eingeschlossenen Studien lag der Prozentsatz zwischen 12,8 und 29,9 Prozent. Nur in einer Studie aus Italien zeigte ein signifikanter Teil der Stichprobe einen Gewichtsverlust. In dieser Studie waren alle Personen älter als 60 Jahre. In der einzigen Studie aus Deutschland war das Körpergewicht bei 51,4 Prozent der Teilnehmer unverändert geblieben, hatte bei 30,9 Prozent zu- und bei 16,7 Prozent abgenommen.
Sechs Studien gaben ein mittleres Körpergewicht vor und nach bzw. während des Lockdowns an, das deutlich gestiegen war (gewichtete mittlere Differenz 1,57; 95 % CI 1,01 bis 2,14). In vier Studien war der BMI angestiegen (gewichtete mittlere Differenz 0,31; 95 % CI 0,17 bis 0,45).
Subgruppenanalyse nach Alter zeigten, dass es unter Erwachsenen eine Tendenz zum Anstieg des Körpergewichts gab (gewichtete mittlere Differenz 0,85; 95 % CI, -0,16 bis 1,86). Wurden Jugendliche einbezogen, so war diese Tendenz etwas geringer.
Auch der BMI zeigte bei Erwachsenen eine – allerdings nicht signifikante – Tendenz nach oben (gewichtete mittlere Differenz 0,46; 95 % CI -0,18 bis 1,10).
Wurden nur qualitativ hochwertige Studien in die Berechnungen einbezogen, so zeigten sich in Bezug auf das Körpergewicht bei einer geringeren Heterogenität zwischen den Studien ähnliche Ergebnisse (gewichtete mittlere Differenz 1,41; 95 % CI 0,41 bis 2,40). Da die Qualität aller Studien mit BMI-Veränderungen als gut eingestuft wurde, erfolgte keine zusätzliche Sensitivitätsanalyse.
Interpretation der Ergebnisse
Die Zunahme des Körpergewichts in der Bevölkerung durch die Lockdowns während der COVID-19-Pandemie führt potenziell zu einer höheren Inzidenz von Übergewicht, Adipositas und damit verbundenen Gesundheitsrisiken sowie nicht übertragbaren Krankheiten. Dies bewerten die Autoren als alarmierend.
Die Beobachtung, dass sich das Körpergewicht in einer Studie mit Erwachsenen über 60 Jahren im Gegensatz zu allgemeinen Trends nach untern entwickelte, könnte auf eine Unterernährung bei der älteren Bevölkerung während des Lockdowns hindeuten.
Weitere Studien sind erforderlich, um die Gewichtsentwicklung bei jüngeren Menschen und das Risiko von Gewichtsverlust, Unterernährung und Sarkopenie bei älteren Erwachsenen näher zu beleuchten.
Quellen:
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Bakaloudi DR1, Barazzoni R2, Bischoff SC3, Breda J4, Wickramasinghe K5, Chourdakis M6; dmpakalo@auth.gr
1Laboratory of Hygiene, Social & Preventive Medicine and Medical Statistics, School of Medicine, Faculty of Health Sciences, Aristotle University of Thessaloniki, Greece; 2Department of Medical, Surgical and Health Sciences, University of Trieste, Trieste, Italy;
3University of Hohenheim, Department of Nutritional Medicine, Stuttgart, Germany. 4Division of Country Health Policies and Systems, WHO Regional Office for Europe, Russian Federation. 5WHO European Office for the Prevention and Control of NCDs, WHO Regional Office for Europe, Moscow, Russian Federation. 6Laboratory of Hygiene, Social & Preventive Medicine and Medical Statistics, School of Medicine, Faculty of Health Sciences, Aristotle University of Thessaloniki, Greece.
Impact of the first COVID-19 lockdown on body weight: A combined systematic review and a meta-analysis
Clin Nutr. 2022 Dec;41(12):3046-3054. doi: 10.1016/j.clnu.2021.04.015.